4. KAPITEL
Quer vor der Tür hing ein Absperrband der Polizei. Buffy stand direkt hinter Xander, als dieser die Tür öffnete und mit fester Stimme »Giles?«, rief.
Er bückte sich und kroch unter der Absperrung durch. Willow, Cordelia und Buffy folgten ihm. Xander zeigte auf den Weinkühler. »Giles hatte für den Abend wohl was Nettes geplant.«
Buffy hob die Skizze von Jenny Calendar auf.» Giles hat das hier nicht arrangiert. Angel war es. Das ist die Verpackung des Geschenks.« Sie reichte Xander die Skizze.
Er schloss die Augen, während Buffy hinter ihm vorbeiging und auf die Treppe zustrebte. »Oh Mann. Armer Giles.«
Willow untersuchte die leere Waffenkiste.» Schaut mal - all seine Waffen sind weg.«
Cordelia gesellte sich zu ihr und blickte ebenfalls in die Kiste. »Aber bewahrt er seine Waffen nicht in der Bibliothek auf?«
»Nein. Die in der Bibliothek sind seine Waffen für alltags.« Xander blickte von der Skizze auf. »Das hier waren seine guten Waffen. Kommen nur zum Einsatz, wenn er Besuch erwartet.«
Buffy kam die Treppe herunter und stoppte auf dem Absatz.
»Er ist also nicht da?«, schloss Willow.
»Wo ist er dann?«, fragte Cordelia.
»Er wird dahin gehen, wo Angel ist«, sagte Buffy tonlos.
Willow blickte sie besorgt an. »In die Fabrik, stimmt's?«
»Dann will Giles also versuchen, Angel umzubringen«, folgerte Cordelia.
Xanders Stimme klang bitter. »Wurde ja auch Zeit, dass es jemand tut.«
»Xander!«, mahnte Willow entsetzt.
»Tut mir Leid. Aber ihr dürft nicht vergessen, dass ich Angel schon lange hasste, bevor ihr seinem Fanclub beigetreten seid. Ich finde, dass ich etwas dafür verdient habe, weil ich euch nicht schon vor langer Zeit gesagt habe, dass ihr bei dem Typen ein bisschen blauäugig seid. Und wenn Giles jetzt gegen diesen Teufel vorgehen will -« er wandte sich Buffy zu, wie um sicherzugehen, dass sie dieses Wort mitbekommen hatte,»- der seine Freundin ermordet hat, dann sage ich nur »Bravo. Lasst ihn verrecken<.«
»Du hast Recht.« Mehr sagte Buffy nicht dazu.
Xander machte nicht den Eindruck, als habe er es auf Lobsprüche abgesehen. Mit leiser, ruhiger Stimme sagte er lediglich: »Danke.«
Buffy kam nach unten. »Es gibt nur einen kleinen Fehler in Giles' Racheszenario.«
»Und der wäre?«, fragte Xander ein wenig herausfordernd.
»Er wird dabei sterben.«
Angelus war entzückt, wie es ihm wieder einmal gelungen war, Spike aus der Fassung zu bringen.
»Bist du wahnsinnig? Wir wollen dieses Mädchen töten, keine Scherzgeschenke auf den Betten ihrer Freunde hinterlassen.«
Dru, die den kleinen Hund Sonnenschein unter den Arm geklemmt hatte, stand Angelus bei. »Aber Spike«, sagte sie beschwichtigend, »diese böse Lehrerin wollte Angelus seine Seele wiedergeben.«
»Wäre das so schlimm gewesen?«, Spike zog die Schultern hoch. »Wenn du mich fragst - mir gefiel der alte Angel, das Schoßhündchen der Jägerin, besser. Denn diese neue, verbesserte Ausgabe spielt mit gezinkten Karten.« Er regte sich immer mehr auf. »Hey, ich mag 'ne Riesen-Abschlachterei genauso wie jeder andere, aber seine dummen kleinen Scherze werden uns bloß eine unglaublich wütende Jägerin bescheren!«
»Mach dir keine Sorgen, Roller Boy«, schnitt Angelus ihm das Wort ab. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hab alles unter Kontrolle.«
Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, als ein Molotow-Cocktail hereinflog und auf dem Tisch in Flammen aufging. Angelus und Dru rannten um den Tisch herum und brachten sich hinter den hochlehnigen Stühlen in Sicherheit. Spike rollte, so schnell er konnte, hinterher.
Bevor sie sich verschanzen konnten, traf Angelus ein Pfeil in die Schulter. Zähneknirschend blieb er stehen und versuchte den Pfeil herauszuziehen. Als er aufsah, erblickte erRupert Giles mit einem Baseballschläger in der Hand. Der Bibliothekar hielt die Spitze des Schlägers ins Feuer und kam drohend auf ihn zu. Bevor Angelus an Verteidigung denken konnte, hatte der Wächter ihm mit dem brennenden Schläger einen Hieb quer übers Gesicht versetzt. Ein zweiter, ebenso harter, folgte.
»Jungejunge, was ist bloß aus den Holzpflöcken geworden?«, brachte Angelus heraus und verzog das Gesicht, während er sich vor Schmerz krümmte. Giles schlug noch einmal zu.
Dru wollte nach vorn stürzen und Angelus beistehen, aber Spike packte ihr Handgelenk. »Oh nein. Eine schöne Frau geht nicht in den Ring, bevor der Auswechselspieler gebraucht wird.«
Der Wächter konnte noch ein halbes Dutzend Schläge anbringen, bis Angelus wieder auf die Beine kam, sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und einen neuen Schlag blockierte. Er packte Giles und hielt ihn hoch, so dass dessen Beine ein gutes Stück über dem Boden pendelten. Klappernd fiel der Baseballschläger aus Giles' Hand. Er war ohnmächtig geworden.
»Na schön, du hattest dein Vergnügen!«, zischte Angelus. »Aber weißt du auch, was jetzt kommt?«
Urplötzlich wurde er fortgezogen und nach hinten geschleudert. »Mein Vergnügen!«, schrie Buffy und trat ihm mit voller Wucht gegen das Kinn.
Trotz des sich ausbreitenden Feuers konnte Angel erkennen, dass Dru und Spike sich vorsichtig zurückzogen. In diesem Augenblick zwang ihn die Jägerin in die Knie. Sie konnte ihm noch einen Tritt versetzen, bevor er wie der auf die Beine kam und sie über seine Schulter schleuderte. Während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte, raste er die Treppe hinauf. Sie schnappte sich eine stählerne Stützstrebe und brachte ihn zum Stolpern. Er rutschte die Treppe wieder herunter.
Er trat brutal zu und sie ging rücklings zu Boden. Sofort lief er die Treppe hinauf und auf die Rampe zu. Aber Buffy kletterte über ein paar Holzlüsten hinauf und stellte sich ihm auf dem höher gelegenen Laufsteg entgegen.
Die Flammen unter ihnen loderten auf, als Angelus zu einem neuen Schlag ansetzte. Buffy duckte sich und zog ihm die Beine weg. Mit einem Grunzen brach er zusammen, und während er am Boden lag, schlang sie ein Seil um seinen Hals und zog erbarmungslos daran, schleuderte seinen Kopf von einer Seite auf die andere. Dann setzte sie ihm einen Fuß auf die Brust und drückte ihn nach hinten weg. Als er wieder auf die Beine kam, sprang sie hoch, hielt sich an einem Rohr fest und trat ihn noch einmal mit voller Wucht vor die Brust.
Angelus stolperte und fiel, riss im Fallen Fässer und Rohre mit. Die Flammen loderten empor und tauchten den Kampf in ein dramatisches Licht. Buffy war entschieden dabei, die Oberhand zu gewinnen.
Wieder griff er an, und sie warf ihn nieder. Dann prasselte ein Hagel von Schlägen auf ihn herab.
Hab ich Spike nicht gewarnt, dass sie die stärkste Jägerin ist, mit der wir es jemals zu tun hatten?, dachte er. Sie wird mich töten, wenn ich sie nicht austricksen kann.
Aber sie hat überhaupt nicht auf das Feuer geachtet.
Er lachte, als sei dies alles nur ein großer Spaß und sagte: »Willst du den netten Alten da unten verbrennen lassen?«
Buffy wandte den Blick von Angelus ab und sah hinunter auf den Hallenboden. Die Flammen züngelten schon in der Nähe von Giles, der bewusstlos dort unten lag.
Oh nein, dachte sie. Die Entscheidung, die sie zu treffen hatte, war furchtbar - und ungerecht: entweder Angelus oder Giles. Wenn sie Giles nicht dort wegschaffte, würde er mit Sicherheit sterben.
Und wenn sie Angelus nicht auf der Stelle tötete, würde sie vielleicht nie mehr die Gelegenheit dazu haben. Dann mussten noch mehr Menschen ihr Leben lassen. Er hatte bereits jeden, der ihr etwas bedeutete, mit seinen Drohungen eingeschüchtert. Und Bannsprüche halfen auch nicht ewig. Jedes Mal, wenn einer von ihnen nachts aus dem Haus musste, konnte Angelus zuschlagen. Buffy konnte nicht überall gleichzeitig sein und ihre Freunde
beschützen. Früher oder später wird er einen von ihnen umbringen.
Aber Giles wird jetzt sterben, wenn ich ihn nicht rette ...
Angelus nutzte ihre Unaufmerksamkeit und stieß sie über das Geländer. Sie landete zum Glück auf den Kisten und sprang den Rest des Weges hinunter. Während Angelus floh, half sie Giles auf die Beine und brachte ihn halb ziehend, halb schiebend aus dem Gebäude heraus.
Die frische, kühle Luft brachte ihn zur Besinnung. »Warum bist du hergekommen?«, herrschte er sie an und schob sie von sich. »Das war nicht dein Kampf!«
Als Antwort verpasste sie ihm einen Kinnhaken. Er fiel mit dem Gesicht nach unten zu Boden. »Willst du dich unbedingt umbringen?«, kreischte sie ihn an.
Dann kamen die Tränen. Sie fiel neben ihm zu Boden und klammerte sich an ihm fest. Beide weinten - er aus Gram und Wut; sie aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Und weil er ihr Leid tat.
Sehr Leid.
»Du darfst mich nicht allein lassen.« Es war eine Bitte. »Ich kann es nicht allein schaffen.«
Sie weinten gemeinsam.
Sehr viel später stieg Giles die Stufen zu seiner Wohnung hoch. Er blieb vor der Tür stehen und riss das Absperrband ab.
Angelus sah ihm dabei zu. Manchmal tut sie uns weh, stärker als wir ertragen können. Wenn wir ohne Leidenschaft leben könnten, würden wir vielleicht mehr Frieden haben. Aber wir wären hohl... leere Zimmer... mit geschlossenen Fensterläden ... kalt und klamm. Ohne Leidenschaft wären wir tot.
Es war ein kalter, grauer Tag. Auf dem Friedhof trieben Blätter in einem kleinen Teich mit grauem Wasser, nicht weit von Jenny Calendars Grab entfernt. Auch auf dem Grab lagen Blätter wie die Küsse, die Giles ihr einst auf Hände und Wangen hatte geben wollen.
Er kniete auf einem Bein, wie es ein Mann tun würde, der einen Heiratsantrag machen will, und legte einen Strauß Rosen auf die feuchte Erde, die das frische Grab bedeckte. Einen Augenblick lang blieb er knien, und es lag etwas Feierliches in seiner trauernden Haltung. Etwas Starkes.
Buffy spürte es.
Giles stand auf und steckte eine Hand in die Tasche seines Regenmantels. »Während meiner Jahre als Wächter habe ich zu viele Menschen begraben. Jenny war die erste, die ich geliebt habe.«
»Es tut mir so Leid«, sagte Buffy, die neben ihm stand. »Es tut mir Leid, dass ich ihn nicht für Sie ... für Jenny... töten konnte, als ich die Gelegenheit dazu hatte.«
Beide blickten auf den schlichten Grabstein herab. Da stand Jennifer Calendar, mehr nicht. Nichts von Janna. Nichts von Verwünschungen und Verrat.
Nichts von Leidenschaft.
»Ich war noch nicht bereit«, gab Buffy zu, »aber jetzt denke ich, ist es so weit.«
Miss Calendars Schüler im Computer-Kurs waren mucksmäuschenstill, als Willow mit ihrem Notizbuch und ihren Unterlagen in die Klasse kam. Ein bisschen scheu begann sie: »Hi. Rektor Snyder hat mich gebeten, die Klasse für Miss Calendar zu übernehmen, bis der neue Fachlehrer anfängt. Also werde ich mich strikt an den Unterrichtsplan halten, den sie aufgestellt hat.« Sie ging um das Pult herum und legte ihre Unterlagen ab.
Am Grab sagte Buffy zu Giles: »Ich kann die Vergangenheit nicht mehr festhalten. Angel gibt es nicht mehr - und nichts wird ihn zurückbringen.«
Und in der Computer-Klasse fegte Willow, ohne es zu merken, eine gelbe Diskette vom Tisch. Sie rutschte zwischen dem Pult und dem fahrbaren Aktenwägelchen, das Miss Calendar dort hingeschoben hatte, herunter und fiel klappernd auf den Fußboden.
Don lag sie, halb unter dem Tisch.
Und wartete.
DIE CHRONIKEN:
EPILOG
Die Hände in den Taschen seines schwarzen Staubmantels vergraben, beobachtete Angelus das dunkle Fenster der Jägerin im ersten Stock des Hauses auf dem Revello Drive. Der Mond beleuchtete sein bleiches Gesicht und zeichnete Muster in seine Wangen und um die Augen.
»Buffy«, flüsterte Angelus. »Ich werde dich verhöhnen und quälen. Ich werde meine Nächte damit zubringen, dich zu hetzen. Ich werde dir das Leben so zur Hölle machen, dass du wünschen wirst, ich hätte dich getötet, um dich von deinem Elend zu erlösen.«
Er lächelte in der Dunkelheit und fragte sich, ob sie überhaupt noch schlafen konnte. Oder ob Angst und Zorn sie die ganze Nacht über wach hielten. Ob sie nicht offenen Auges und mit klopfendem Herzen aufrecht in ihrem Bett saß. Mit Tränen in den Augen. Seinetwegen.
In seiner Erinnerung tauchten lebharte, deutliche Bilder der Auserwählten auf. Buffy, wie sie ihn anlächelte. Wie sie weinte.
Buffy.
Ich werde sie zerbrechen. Er ballte die Fäuste, freute sich auf die Zeit, die noch kommen würde. Wenn er sie quälte; sie über alles menschliche Maß hinaus verletzte, wieder und wieder; sie lehrte, nie zu vergessen, was er ihr antun konnte - was er ihr und ihren Freunden antun würde.
Das war viel subtiler, als einfach ihre Existenz auszulöschen. Es war wirkliche Zerstörung verglichen mit dem sauberen, schnellen Tod, den er Jenny Calendar geschenkt hatte.
Spike verstand das nicht. Konnte es gar nicht verstehen. Was wusste ein Schwächling wie Roller Boy schon von Hass?
Von Leidenschaft?
Angelus starrte zu dem Fenster hinauf. Er blieb dort stundenlang, bis die Morgendämmerung ihn vertrieb. Doch er vermochte sich fast nicht loszureißen, so stark war sein Zorn, als er zu ihrem Fenster hochstarrte.
Wie ich sie hasse -
Mit Leidenschaft.
Das sagte er sich, während er auf dem Absatz kehrtmachte und in der Dunkelheit verschwand.